http://www.gamestar.de/previews/acti...4684/rage.html
Wie schade, dass die Screenshots auf diesen Seiten dem Spiel nicht gerecht werden. Sie sehen nicht schlecht aus. Aber »nicht schlecht« ist keine angemessene Beschreibung für Rage. Die europäischen Spielejournalisten, mitunter ein abgebrühtes Volk, fanden Ende April ganz andere Worte für den Ego-Shooter von id Software. Superlative. Staunen. Wow. In Chantilly, einem Vorort von Paris, hatte Bethesda zur Präsentation geladen. Mit dabei war id Software, also auch Rage.
Id Software ist einer dieser Entwickler, der seinen Namen an einen klar erkennbaren Stil geknüpft hat: düstere, brutale, mit Schockmomenten aufgeladene Brachialshooter, schmutzig und direkt. Doom und Quake definierten vor über einem Jahrzehnt den modernen Ego-Shooter. Id Software war mal technologischer Fahnenträger, die id-Tech-Engines verschoben die Grenzen dessen, was im 3D-Bereich möglich war. Aber die Zeit ist fortgeschritten, und was damals revolutionär war, wirkt nun veraltet. Heute haben Shooter Handlung und Raffinesse, Tiefgang wie Bioshock oder Filmwirkung wie Modern Warfare 2. Technische Avantgarde verbindet man inzwischen mit Epics Unreal-Engine oder mit der Cryengine von Crytek (Crysis). Das id-Konzept ist angegraut. Seit Quake 4 hat die Firma kein eigenes Spiel mehr entwickelt, fünf Jahre ist das her. Und nun also Rage: das erste id-Spiel seit einem halben Jahrzehnt. Eine neue Marke. Ein Neuanfang.
Die Spielwelt
Im Brunnenkeller von Wellspring ist Rage ein typischer id-Shooter: Ein kerkerartiger Levelschlauch, Gegner springen vor die Flinte, man schießt sie aus der Ego-Perspektive nieder, Blut spritzt. Das ist nicht sonderlich weit von Quake entfernt. Im Kern bleibt Rage durchaus eine lineare Ballerei. Aber in diesem Kern verdichten sich neue Spielelemente, und um ihn herum öffnet sich eine weite Welt.
Jenny ist eine der Bewohnerinnen von Wellspring.Jenny ist eine der Bewohnerinnen von Wellspring. Wellspring ist ein Städtchen in den USA der Zukunft, die durch einen Asteroideneinschlag verwüstet wurden. In Untergrund-Bunkern haben Menschen im Kälteschlaf überlebt; zu Beginn von Rage erwacht der Spieler als einer dieser Insassen und betritt eine postapokalyptische Welt, von Clans bewohnt, von Mutanten geplagt, von der mysteriösen »Authority« regiert. Rage ist schon mit den Mad Max-Filmen und Fallout verglichen worden, auch Borderlands hat Parallelen, aber die Außenwelt von Rage stellt alle Vorbilder in den Schatten. Hell strahlt die Sonne und wirft lange Schatten in die Wüstenschluchten, rote Felsen türmen sich zu Steilwänden auf, dank der Megatexture-Technologie der id Tech 5-Engine sieht jede Spalte, jeder Riss, jedes Detail anders aus. Die Einwohner von Wellspring haben aus Überresten eine Stadt gezimmert, halb Westernstil, halb Chinatown, und die Siedlung lebt. Passanten auf den Straßen, improvisierte Maschinen rattern und rauchen, an einem alten Waschbecken füllt ein Wasserträger Kanister, und vor dem Outfitter-Laden sitzt Jenny und misst uns mit geringschätzigem Blick: Mit unserem Bunkeranzug fallen wir im Wasteland auf wie ein bunter Hund, wir sollten uns besser umkleiden.
Hauptgegner in Rage sind verschiedene Banditenclans.Hauptgegner in Rage sind verschiedene Banditenclans. Wer Fallout 3 gespielt hat, dem dürfte all das wenig originell vorkommen. Aber Rage ist kein Rollenspiel. Es ist ein Shooter, der in Teilen an ein Rollenspiel erinnert, ein bisschen wie Borderlands. In Rage kann man mit Personen reden. Man kann Nebenaufträge von ihnen annehmen. Man kann nach eigenem Gutdünken vorgehen. Wellspring dient als zentrale Anlaufstelle, von der aus man ins Wasteland aufbricht oder in Einzellevels wie den Brunnenkeller, der von Banditen überrannt wurde. Draußen jagt man mit einem Buggy über die Pisten, liefert sich Rennen und Duelle, rüstet das Gefährt auf. Rage hat eine Handlung, es hat faszinierende, perfekt animierte Charaktere wie den kauzigen Crazy Joe oder die attraktive Jenny. Aber es gibt kein Levelsystem, keine Erfahrungspunkte. Rage ist nach wie vor ein Shooter.
So spielt sich Rage
Im Brunnenkeller von Wellspring ist Rage ganz anders als ein typischer id-Shooter. Zwar kann, wer sich traut, mit feuernden Waffen durch die Katakomben rennen und Bandit um Bandit niedermähen. In Doom hätte sich das taktische Potenzial damit auch schon erschöpft. In Rage fängt es gerade erst an. Wer rennt und schießt, ist laut. Wer schleicht und vorsichtig um Ecken lugt, bleibt unbemerkt. Wasser rinnt von den Wänden des Brunnenkellers, zwei Banditen des Ghost Clans stehen bis zu den Knöcheln in Lachen. Wir laden die Armbrust mit einem Elektropfeil, zielen auf das Wasser - ein Zischen, und die beiden sind Geschichte. Auf den Metallstegen über Kanalgruben sind unsere Schritte gut zu hören, wir werden entdeckt.
Jeder Banditenclan hat unterschiedliche Angriffstaktiken.Jeder Banditenclan hat unterschiedliche Angriffstaktiken. Der Ghost Clan hat, wie jede Banditengruppe, eigene Angriffsmuster. Seine Mitglieder sind hochakrobatisch, sie schwingen über Geländer, laufen an Wänden entlang, weichen mit Flickflacks aus, springen von Balkonen, sie sind verteufelt schnell. Wir laden die Pistole mit Fatboy-Kugeln; nun genügt ein Treffer, um die Kerle auszuschalten. Jede Waffe besitzt verschiedene Munitionstypen -- Bioshock lässt grüßen. Ein Seitengang endet an einer Panzertür, hier geht’s nicht weiter. Aber wir haben einen Schlossknacker dabei, aus Einzelteilen zusammengeschraubt, der die Türe aufsprengt. Dahinter liegt ein Vorratslager, wie stauben Munition und Nahrung ab. Die lässt sich in Wellspring verkaufen, das Geld investieren wir in bessere Rüstung, mehr Munition, Einzelteile. Mit denen basteln Rage-Spieler hilfreiche Gerätschaften. Einen Spinnenroboter mit MG, der neben einem herstakt (»Verfickte Roboter!«, schreien die Banditen in Panik). Ein ferngesteuertes Auto mit Sprengladung, das wir aus der Ego-Perspektive steuern, durch die Gänge, durch einen Mauerspalt in einen Nebenraum, in eine Gruppe von Clanbanditen. Zündung. Auch Leichen lassen sich durchsuchen. In einer zentralen Halle hören wir Banditen heranstürmen, wir stellen zwei Geschütztürme auf, selbstverständlich ebenfalls selbstgebaut. Sie feuern automatisch auf Gegner. Nach dem Gefecht packen wir sie wieder ein – der eine unbeschädigt und weiter nutzbar, der andere angeschlagen, weswegen er in Einzelteile zerfällt. Mit ihnen können wir weiterbasteln.
Technik und Editor
Es ist die Ausrüstung, über die sich (neben der Handlung) der Fortschritt in Rage definiert: neue Waffen, bessere Rüstungen, mehr Zubehör, verbessertes Auto, ein immer stärkerer Held. So gehört sich das in Shootern. Auch auf anderem Feld ist Rage auf erfreuliche Weise altmodisch, obwohl es für PC und Konsolen parallel entwickelt wird. Zum Beispiel gibt es keine Speicherpunkte, stattdessen darf jederzeit und allerorts frei gespeichert werden, auch auf den Konsolen. Die PC-Version wird standardgemäß das id Studio enthalten, die Editor-Basis für Mods. Geheilt wird nach wie vor über Medikits, nicht über den modernen Standard, wonach drei Sekunden in Deckung zur Regeneration genügen. Zwar besitzt auch Rage dieses System, es funktioniert aber deutlich langsamer, sodass Medikits das Mittel der Wahl sind. Der Tod ist entschärft: Wer stirbt, belebt sich mit einem Auto-Defibrilator selbst wieder. Allerdings darf er nicht sofort wieder das Zeitliche segnen, sonst ist das Spiel wirklich aus.
Die Spielwelt (hier Wellspring) ist ungeheuer stimmungsvoll.Die Spielwelt (hier Wellspring) ist ungeheuer stimmungsvoll. Die menschlichen Gegner, da bleibt sich id Software treu, scheiden auf brutale Weise aus dem Leben. Brennende Menschen laufen vor Schmerz brüllend herum, Blut spritzt reichlich, direkte Treffer hinterlassen klaffende Wunden im Fleisch der Feinde. Zum Glück steckt id Software Detailliebe nicht nur in solche Effekte, sondern in die gesamte Präsentation des Spiels. Es ist schwer zu beschreiben, wenn man es nicht gesehen hat, aber Rage entfacht von der ersten Sekunde an eine beeindruckend dichte, authentische Atmosphäre; die Welt scheint zu strahlen und zu leben, sie wirkt so glaubwürdig, dass man sich vorstellen kann, in echt durch die staubigen Gassen von Wellspring zu spazieren. Auf der Gamescom 2009 lief Rage noch auf einem kraftstrotzenden 64-Bit-PC, inzwischen hat id Software die Engine so weit optimiert, dass der Shooter in Chantilly auf einer normalen Xbox 360 in 720p mit 60 Frames pro Sekunden butterweich über den Schirm huschte und dabei beeindruckend aussah. Die PC-Version, so heißt es von id, wird sich nur durch die flexoble Auflösung unterscheiden, aber technisch identisch sein. Bei der Präsentation wirkten Wellspring schon perfekt ausgefeilt, nicht ein einziger Fehler störte den Spielfluss. Aber das Wasteland ist zweigeteilt, neben Wellspring und Umland gibt es noch eine zweite Siedlung, Subway Town, ebenfalls samt Umgebung. Davon war bisher noch nichts zu sehen, und daran wird id Software wohl noch arbeiten. Denn Rage kommt nicht mehr dieses Jahr.
Immerhin, da wäre noch eine Tradition, mit der id Software bricht: Der Erscheinungstermin von Rage ist kein lakonisches »When it’s done«, sondern zumindest schon ein konkretes Jahr. Nämlich 2011.
http://www.gamestar.de/previews/acti...4/rage_p2.html
Fazit:
»Rage war schon mein Spiel der Gamescom 2009, es hat mich auch jetzt wieder umgeblasen. Ich gelte in der GameStar-Redaktion gemeinhin als eher kritischer Spieler, der das Haar in der Suppe sucht. Man hat mich selten so enthusiastisch erlebt wie bei Rage. Schon gut, mag sein, dass ich überreagiere, dass ich die rosarote Brille aufhabe. Ist mir egal, ich glaube an Rage! Die Sorgfalt des Designs, die Stimmung der Spielwelt ist schlicht und einfach grandios. Wenn das kein Hit wird, dann fresse ich einen Besen. Unbedingt im Auge behalten - id Software hat hier ein potenzielles Meisterwerk im Feuer.
http://www.gamestar.de/previews/acti...4/rage_p3.html