Frage: "Kannst du uns die Unterschiede im Reglement zwischen 2010 und 2011 erläutern?"
Patrick Head:  "Bezüglich der Chassis-Definition ist Artikel drei die größte Änderung.  Er verbietet die Verwendung eines Doppeldiffusors, und zwar, dass die  Luft durch den Boden und durch einen Kanal über den Hauptdiffusor  fließt. Das wird sicher den Anpressruck verringern. Ungeachtet dessen  müssen wir den Rest des Autos so angehen, dass wir soviel wie möglich  davon zurückgewinnen."
 "Eine weitere Veränderung betrifft das letzte Blatt des Heckflügels,  das man unter gewissen Umständen bewegen darf. Damit will man es für ein  nachfolgendes Auto leichter machen, dicht aufzuschließen. Es soll nicht  dahinter stecken bleiben. Ich denke, es hört sich etwas künstlich an,  aber die Regeln sind klar. Ich glaube da gibt es eine Menge an ...  (macht eine lange Pause; Anm. d. Red.) zwischen der FIA und den Teams.  Es geht um das Protokoll, Wann es erlaubt und wann es nicht ist."
 
Frage: "Wie soll der Fahrer wissen, dass er den Heckflügel verstellen darf? Gibt es da Lichter am Lenkrad?"
Head:  "Ich bin mir nicht sicher welches Signal der Fahrer erhält. Aber der  Ansatz ist der, dass der Fahrer innerhalb einer Sekunde zum Vordermann  sein muss. Es ist nahe liegend, dass er da schon von hinten aufgeholt  hat."
 
Frage: "Er muss also schneller sein?"
Head: "Ja  genau. Wir haben in Interlagos mit der FIA, mit Charlie Whiting, darüber  gesprochen. Es wird eine signifikante Veränderung sein, aber wir kennen  noch nicht genau die Vorgänge, wie es zum Einsatz kommen soll. Wir  designen die Hardware und kennen die Sicherheitsrisiken. Man kann sehr  leicht sagen, dass es sehr gefährlich sein kann, denn wenn man in die  nächste Kurve fährt und der Flügel geht nicht wieder hoch und bleibt  stecken ... Dann kann man aber auch sagen, dass zum Beispiel ein Teil  der Radaufhängung brechen kann, was auch gefährlich ist. Es ist ein Teil  der Ingenieursarbeit und wir müssen sicherstellen, dass es gut  entwickelt ist. Das ist der entscheidende Punkt."
 
Frage: "Man könnte also genauso sagen, dass wir nicht hier  wären, wenn ein bewegliches Flügelteil bei einem Flugzeug stecken  geblieben wäre."
Head: "Exakt! Es geht ein bisschen  Angstmacherei um, aber jeder Chefdesigner ist sich sicher, dass sie ihre  Teile gut entwickeln. Zumindest ist das die Intention. Ich glaube, wenn  die FIA irgendwelche Sicherheitsrisiken erkennt, dann werden sie  schnell einschreiten. Sie können das alles natürlich ganz schnell wieder  stoppen. Das könnte aber auch nur für eine begrenzte Zeit sein, wenn  sie die Notwendigkeit dafür sehen. Im Moment sieht es aber so aus, als  würden wir die technischen Schwierigkeiten in den Griff bekommen."
 
Frage: "Wie sieht es mit kleineren Teams aus? Können sie es nicht verwenden, wenn sie es sich nicht leisten können?"
Head: "Ja das können sie."
 
Frage: "Also ähnlich wie KERS?"
Head: "Ein bisschen  wie KERS. Man muss aber ein sehr unterfinanziertes Team sein, um sich  das nicht leisten zu können, denn wir sprechen hier von einem  hydraulischen Stellantrieb und ein wenig Software, um ihn zu bedienen."
 
Frage: "Aber man braucht auch Ingenieurskunst, was sich einige Teams vielleicht nicht leisten können."
Head:  "Die größte Veränderung betrifft aber nicht das technische Reglement.  Die größte Änderung sind die Pirelli-Reifen. Das wird den größten  Einfluss auf das Auto haben. Die Teams, die rasch verstehen wie sie die  Reifen am besten nutzen müssen, werden gut aufgestellt sein. Es wird  eine vorgeschriebene Gewichtsverteilung geben. Das ist neu. Man könnte  vielleicht sagen, dass es etwas dumm ist, aber es soll eine  Kostenexplosion verhindern. Bei der Gewichtsverteilung werden 46,5  Prozent vorne sein. Es gibt eine Toleranz von plus minus einem halben  Prozent."
 
Frage: "Das wurde hauptsächlich aufgrund der neuen Reifen eingeführt, denn man weiß nicht genau, wie ihre Charakteristik sein wird."
Head: "Ja."
 
Frage: "Das Gesamtgewicht wurde ebenfalls um zehn Kilo erhöht."
Head: "Ja."
 
Autos werden durch KERS länger
 Frage: "Welchen Einfluss wird KERS auf das Auto haben?"
Head:  "Die Autos werden eine Spur länger sein, obwohl sie jetzt schon sehr  lang sind. Das ist auf den benötigten Platz für den Benzintank und die  Batterien zurückzuführen. Abgesehen davon wird es nicht viel Einfuß beim  Auto geben."
 
Frage: "Wie viel Platz nehmen die Batterien typischerweise ein?"
Head: "Das wird bei allen Leuten anders sein, aber man spricht von sechs bis acht Litern Benzin."
 
Frage: "Da sind auch die Kühlflüssigkeiten für die Batterien mit eingerechnet?"
Head:  "Die sind mehr auf der Seite und in den Seitenkästen. Die Menge an  Flüssigkeit ist gering und man wird von außen nichts davon sehen."
 
Frage: "Die Autos werden also wie 2010 aussehen, vielleicht ein bisschen länger?"
Head: "Geringfügig, ja."
 
Frage: "Frank Williams hat sich nämlich Sorgen darüber  gemacht, dass die Autos wie ein Londoner Bus aussehen würden. Das wird  also nicht der Fall sein?"
Head: "Nein."
 
Frage: "Wie sieht es bei Williams mit KERS aus. Werdet ihr ein  Hybrid-Fahrzeug verwenden? Was für ein Speichersystem werdet ihr  verwenden?"
Head: "'Ich glaube, es ist bekannt, dass wir  Batterien einsetzen werden. Hätten wir KERS 2009 verwendet, ich meine,  wir haben das Schwungrad im Auto getestet, aber nicht bei einem Grand  Prix eingesetzt, es war ein System mit Schwungrad. Ein Schwungrad ist  ein Zylinder mit einem bestimmten Durchmesser."
 
Frage: "Und Gewicht..."
Head: "Es ist leichter als  Batterien, aber gleich stark und kann die gleiche Menge an Energie  speichern. Weil Batterien aus vielen kleinen Zellen bestehen, können wir  sie lang und flach bauen, oder schmal und hoch. Wir können sie in jeder  Form bauen. Als das Nachtanken verboten wurde, war es schnell klar dass  man kein Schwungrad in ein Formel-1-Auto einbauen kann. Trotzdem haben  wir einige Programme laufen, inklusive dem Hybrid-Porsche. Das  Schwungrad passt gut in Sportwagen."
 
Frage: "Sam Michael hat gemeint, Williams lässt sich die  Möglichkeit offen, ob mit oder ohne KERS gefahren wird. Wie ist da der  Stand der Dinge?"
Head: "Ja. Ich meine, soweit wir das derzeit  verstehen, wird ab 2013 ein viel stärkeres KERS kommen, obwohl es noch  nicht definitiv entschieden ist. Wir hören von 120 Kilowatt, einem viel  größeren Energiespeicher und einem höheren Speicherlevel. Wir haben  Zahlen von 2,3 Megajoule bis vier Megajoule gehört. Im Moment sind es  nur 400 Kilojoule, also wird es sich um den Faktor zehn erhöhen. Das  wäre etwas ganz anderes. Man muss diese Energie ja immer noch gewinnen  können."
 
Frage: "Sind diese Zahlen überhaupt realistisch für ein Formel-1-Fahrzeug?"
Head:  "Keine dieser Zahlen sind bisher beschlossen. Wenn es einen  Vierzylinder Turbomotor gibt, dann könnte man ein Schwungrad einbauen.  Wenn es das Design der Autos erlaubt, dann würden wir das Schwungrad  wieder in Betracht ziehen."
 
Motorenfrage für 2013 noch offen
 Frage: "Sprechen wir über 2013. Soweit ich weiß, ist das  Motorenformat noch lange nicht entschieden. Man könnte auch bei den  V8-Triebwerken bleiben."
Head: "Ich weiß, dass einige  Hersteller derzeit Druck ausüben, um die V8-Motoren länger zu behalten.  Ich weiß nicht, ob sie sie für immer behalten wollen, aber zumindest für  eine längere Zeit. Das hat zum Teil mit Bedenken über die hohen  Entwicklungskosten zu tun, abgesehen davon sind die gegenwärtigen  Motoren Hightech-Triebwerke, die knifflig zu bauen sind."
 "Die Firmen wissen genau, wie sie sie bauen müssen, sie kennen die  Motoren und wissen über die Kosten bescheid. Es ist alles sichtbar und  der Kerl kann zu seinem Boss gehen und sagen, dass es nicht mehr als das  kosten wird. Der Chef kann sicher sein, dass das stimmt. In dem Moment,  an dem man die Regeln für neue Motoren freigibt und mögliche  Schlüpflöcher hat, werden die Motorenleute, genau wie die Adrian Neweys  auf Chassisseite, kommen und sagen, 'Wir können hier und dort etwas  tun.'"
 "Die Leute auf diesem Level werden zu ihrem Chef gehen und sagen,  dass sie den Motor für 20 Millionen entwickeln können. Der Chef weiß  aber, dass er wahrscheinlich in drei Monaten wiederkommt und weitere  zehn oder 40 Millionen verlangen wird. Das wollen die Hersteller im  Moment nicht. Sie wissen, dass die gegenwärtigen Motoren recht teuer  sind, aber sie kennen die Zahlen genau und werden keine Überraschungen  erleben."
 
Frage: "Je länger man sie behält, desto niedriger fällt der Stückpreis, weil es keine Entwicklungskosten gibt."
Head: "Genau."
 
Erinnerungen an Budgetdiskussion mit Ross Brawn
 Frage: "Außerdem sind sie eingefroren. Derzeit ist die Zahl  der Arbeiter an einem Wochenende limitiert. Wird das so bleiben, oder  sind es zu wenig Spezialisten?"
Head: "Ich glaube durch KERS  dürfen in paar Leute mehr dazukommen, vielleicht zwei zusätzliche  Techniker an der Strecke. Ich glaube es wird von den Budgets abhängen.  Obwohl die Budgets jetzt niedriger sind, war es 2006 und 2007  interessant. Während sich Williams alles aus den Fingernägeln gezogen  hat, waren die großen Teams offener und wollten immer mehr Geld  ausgeben."
 "Mir wurde gesagt, dass Honda 2008 knapp 500 Millionen Euro  ausgegeben hat. Wie erfolgreich waren sie? Ich kann mich an das erste  Meeting der TRWG, der technischen Arbeitsgruppe der FOTA, erinnern. Ross  Brawn war der Vorsitzende und war zu diesem Zeitpunkt Technikdirektor  bei Honda. Er hat sich hingesetzt und gesagt: 'Ich wurde von Luca di  Montezemolo darum gebeten, dass wir Wege finden, um die Budgets in der  Formel 1 zu verkleinern. Ich muss sagen, dass wir bei Honda das nicht  brauchen.' Das war im September 2008 und du weißt, was im Dezember  passiert ist. Diese Dinge ändern sich."
 "Wir haben dann eine Periode durchgemacht, in der viel Druck von BMW,  Mario Theissen und Toyota kam, die Budgets zu reduzieren. Sie sind  beide ausgestiegen. Auch Mercedes hat viel Druck für Kostensenkungen  ausgeübt. Wenn die guten Zeiten für die Autoindustrie zurückkehren, wird  es plötzlich wieder mehr Geld geben. Man kann sich vorstellen, dass man  dann wieder mehr Leute auf der Strecke erlauben wird, und Dinge wie  diese eben."
 
Frage: "Ihr arbeitet künftig mit HRT zusammen. Kann das zu einer engen Partnerschaft führen?"
Head:  "Es liegt an ihnen. Sie werden im kommenden Jahr unser diesjähriges  Getriebe verwenden. Es ist ein gutes Getriebe. Sie werden sicher davon  profitieren. Wir werden sehen, ob es für sie funktioniert. Wenn sie ihre  Rechnungen begleichen, und es ist sehr Kosteneffektiv, dann könnte die  Zusammenarbeit auch weiterführen. Es gibt Limits bei den Regeln, was ein  Konstrukteur alles tun kann."
 
Frage: "Lass uns kurz zum Reglement zurückkehren. Wir haben  noch nicht über den angeströmten Diffusor gesprochen. Wird das im  nächsten Jahr noch erlaubt sein?"
Head: "Ja. Okay, es ist nur  ein Wort und kein richtiger angeblasener Diffusor. Die meisten Leute  blasen durch die Fahrzeugverkleidung, dem unteren Teil auf der  Innenseite des Rades. Der Diffusor ist mehr auf der Innenseite davon.  Sie blasen Luft dort herum, die dann darunter fließt. Man erhöht damit  die Geschwindigkeit und verringert den Druck auf der Unterseite. Wie man  bei unserem Auto sieht: Wir haben ein Level und dann haben wir einen  Eingang, den wir darunter anströmen. Es sind auf dieser Fläche keine  Löcher erlaubt. Ich bin mir sicher, dass wir Autos mit niedrigen  Auspuffendrohren sehen werden, die den Luftzug mit den Auspuffgasen  steuern."
 
Frage: "Ihr werdet also beispielsweise nicht das gleiche haben wie am FW14 von 1992, als es einen perfekt angeströmten Diffusor gab?"
Head: "Ich muss mich jetzt erst wieder daran erinnern."
 
Frage: "Es war das Auto von Nigel Mansell."
Head:  "Ja genau. Bei diesem Auto hat der Auspuff den Diffusor angeströmt.  Nein, das ist verschwunden als die Bodenplanke kam. Sie war 50  Millimeter hoch. Davor waren das Autos mit flachen Unterböden. Auf  diesem Gebiet waren sie sehr vorteilhaft."
 
Frage: "Bleibt der verstellbare Frontflügel im nächsten Jahr?"
Head: "Nein."
 
Frage: "Aber 2010 war das erlaubt."
Frage: "Ja."
 
Frage: "Das fällt also auch weg. Also kommen Pirelli, KERS und der bewegliche Heckflügel."
Head: "Ja."
 
Pirelli-Reifen die größte Änderung für 2011
 Frage: "Was denkst du? Wie wird das die Rundenzeit  beeinflussen? Die Reifen werden natürlich den größten Einfluss haben.  Wie schätzt du den Vergleich zu Bridgestone ein?"
Head: "Ich glaube, es wird recht ähnlich sein."
 
Frage: "Bis man auf den KERS-Knopf drückt..."
Head:  "Da geht es nur um 0,3 bis 0,4 Sekunden bei der Rundenzeit. Aber es ist  ein Vorteil beim Start bis zur ersten Kurve. Okay, ich glaube nicht,  dass jedes Team schon abgeschätzt hat, wie sich der bewegliche  Heckflügel auswirken wird. Bei KERS kann jeder seine Zahlen berechnen.  Wenn man vielleicht 10 km/h beim Flügel gewinnt und 8 vom KERS, dann hat  man einen schönen Geschwindigkeitsüberschuss. Wenn man den Flügel und  KERS kombiniert, gewinnt man vielleicht 18 km/h."
 
Frage: "Kann man den Flügel immer verstellen?"
Head: "Nein, nur wenn man innerhalb einer Sekunde hinter dem Vordermann ist."
 
Frage: "Im Qualifying kann man es also nicht einsetzen?"
Head:  "Soweit ich verstanden habe, kann man ihn in der Qualifikation ständig  benutzen. Ich muss sagen, und das wurde beim Meeting in Interlagos  bestätigt, dass die FIA sehr clever die Verwendung des Heckflügels in  die sportlichen Regeln aufgenommen hat. Sie können das Sportgesetz nicht  so einfach ändern, nicht so wie sie wollen. Deshalb würde ich sagen,  dass man die Verwendung des verstellbaren Heckflügels jetzt noch nicht  in Stein meißeln kann."
 
Frage: "Lass mich das noch einmal zusammenfassen. Im  Qualifying kann man den Heckflügel jederzeit verstellen, man erreicht  auf den Geraden also die maximale Höchstgeschwindigkeit und in den  Kurven den optimalen Anpressdruck. Die Autos werden also extrem schnell  sein. Im Rennen darf man es nur verwenden, wenn man innerhalb einer  Sekunde hinter dem Vordermann hängt. Wenn man vorbei ist, darf man ihn  nicht mehr verwenden."
Head: "Genau."
 
Frage: Was wurde noch beim Meeting in Brasilien beschlossen?"
Head:  "Viele Details der Verkleidung, weil sich da Kleinigkeiten ändern  werden. Einige Leute haben dagegen protestiert. Charlie Whiting hat die  Interpretation vorgegeben und einige haben dagegen protestiert. Es waren  mehr Hausaufgaben für die Teams."
 
Frage: "Und bei der technischen Arbeitsgruppe? Passiert derzeit etwas in dieser Richtung?"
Head: "Nein."