Die allerersten Screenshots zu Crysis 2 sahen nicht nur fantastisch gut aus, sondern sogar gleich ZU fantastisch gut. Besonders für ein Multiplattformspiel. Da wir den Coverhelden, Nomad, darauf von außen herumspringen sahen, lag natürlich die Vermutung nahe, dass es sich bei den Pics um nicht mehr als vorgerenderte Bilder in aufgemotzter Spiel-Engine handelte. Mehr Kunst als virtuelle Realität, so wie man sie meistens kurz nach Ankündigung eines Spieles (oft auch als "Targetrenders" bezeichnet) präsentiert bekommt. Aber gut, wir reden hier immerhin von der neusten Generation der CryEngine und die ist erwiesener Maßen für ihre Wunderdinge bekannt... sofern man die PC-Hardware von morgen auf dem Schreibtisch stehen hat. Dass die "Xbox 360"-Version von Crysis 2 exakt daran heranreichen würde, habe ich natürlich nie erwartet. Sehr wohl dagegen eine einigermaßen flüssige Framerate, zumindest leichte Kantenglättung und ein Gesamtbild, das mich auf irgendeine Weise zu begeistern weiß. Immerhin, ich habe es ja schon gesagt, spreche ich hier von Crytek. Das Team hat Epics Unreal Engine vor ein paar Jahren mal eben vom Branchenprimus zum König des Mainstreams degradiert und das Studio hat sich mit Crysis 2 vollmundig das selbsterklärte Ziel gesetzt, das "bestaussehendste Konsolenspiel" der bisherigen Generation zu inszenieren. Ein Trumpf von Crysis ist bis heute, dass es größtenteils in üppig bewachsenen Natur-Arealen spielt. Es hat seinen gestalterischen Schwerpunkt (genau wie der quasi-Vorgänger Far Cry) auf begeisternde Weise in ein Setting verlagert, dass andere Spiele auch heute noch tunlichst meiden oder nur halb überzeugend umzusetzen wissen. Auch der zweite Teil spielt im Dschungel, allerdings der weniger grünen Variante. Es ist New York City, eine Videospielern
beileibe nicht unbekannte Örtlichkeit. Trotzdem macht sie grundsätzlich auch hier wieder eine sehr schicke Figur, mit ihren gewohnt hohen Hausfassaden, netten Sonneneffekten, Details wie korrekt beschrifteten Straßenschildern und wehenden USA-Fahnen. Da gerade eine verheerende Alien-Invasion im Gange ist, gibt's in der Kulisse einige wortwörtliche Brandherde zu sehen. Teils sind Gebäude eingestürzt oder kurz davor zusammenzubrechen, der aus solchen Szenarien bekannte Staub ist in Crysis 2 praktisch Dauergast.
So weit, so nett. Leider versprühte die Vorführfassung in London auf mich trotzdem eher einen zweifelhaft sterilen Charme. In GTA IV ist die fiktive Manhattan-Variante eben mit vielen Fußgängern, Straßenverkehr und liebevollen, kleinen Details gefüllt. In der "Crysis 2"-Demonstration verflossen die Hochhauswände der Wall Street zu nicht mehr als einem grauen Einerlei mit jeder Menge identischer Fenster. Und noch mal, Cryteks neustes Werk sah dabei nicht schlecht aus, das will ich nicht meinen. Bei jedem losen Objekt wurden Physikeffekte geboten, Glas zersplitterte sehr realistisch und wo auch immer hingeschossen wurde, nahm die Umgebung zumindest ein wenig schaden. Auch konnten die vielen hübschen Schattenwürfe und HDRR-Effekte überzeugen. Der "New York"-Kulisse fehlte es jedoch an echter Seele oder irgendetwas wirklich interessantem, das es von jedem üblichen 08/15-Großstadtgebiet abgehoben hätte. Und sie wirkte einfach tot. Nicht auf die emotionale Weise, wie es der Teasertrailer "The Wall" (siehe unten) hatte rüberbringen wollen, sondern auf künstliche Computerweise. Während der effektreichen Feuergefechte kam es bei der gezeigten "Xbox 360"-Version dann wie gesagt auch noch des öfteren zu Rucklern, obwohl stetig präsente Treppchenbildung auf fehlendes Anti-Aliasing schließen ließ. Letztere Punkte sind bei einer Vorschauversion der Vor-Alphaphase (so hieß es offiziell beim Event) nicht nur zu verschmerzen, sie gehören auch normalerweise zu dieser frühen Projektphase einfach mit dazu. Von daher keine Sorge, auch nicht bei 360-only-Spielern, das alles muss überhaupt nichts bedeuten. Aber auch davon abgesehen konnte der Funke des neuen Settings, trotz toller Explosionen, bei mir noch nicht richtig überspringen. Cryteks New York hat in der demonstrierten Vorabversion noch nicht sein Herz und sein Flair entfacht, das man von der Stadt der Städte einfach erwartet.
Mit
Sätzen wie "Halo ist voll von diesen archetypischen 'Bullshit'-Charakteren" und "Modern Warfare 2 war für mich eine große Enttäuschung" hat sich Richard Morgan, der Story-Autor von Crysis 2, zuletzt nicht unbedingt Freunde gemacht. Ob die Handlung von Crysis 2 diesen öffentlichkeitswirksamen Aussagen gerecht werden kann, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Während des Events in London wurden Cutscenes mit zu viel Erzählinhalt übersprungen und auch sonst hielt man sich über den Background der Geschehnisse des Sequels, das rund drei Jahre nach Teils eins spielen soll, sehr bedeckt. Das Einzige, was wir inhaltlich während des London-Events feststellen konnten, waren Beobachtungen aus dem laufenden Spiel heraus. So startete die Vorführung beispielsweise mit Kämpfen gegen andere Menschen, die zu privatisierten Sicherheitsunternehmen gehören sollen. Als dann schließlich die Aliens die Bildfläche betraten, fiel sofort deren neues Körperbewusstsein für zwei Beine auf. Anstelle der schwebenden Wesen aus dem Vorgänger, wird man nun mit aufrecht auf dem Boden gehenden Außerirdischen konfrontiert, die offenbar auf mechanische Mittel zurückgreifen, um sich menschenähnlich übers Terrain bewegen zu können. Außerdem gab es eine Szene zu sehen, in der eine unterschwellige Kraft sämtliche menschlichen Soldaten in der Umgebung mit heftigen Kopfschmerzen bis hin zur Besinnungslosigkeit bedachte. Auch Spielercharakter Norman wurde schlussendlich, zumindest sollte es so aussehen, am Ende des vorgestellten Abschnitts von den Aliens in die Knie gezwungen. Dass es bei ihm etwas länger gedauert hat als beim Rest, lag selbstverständlich an seinem Nanosuit. Der Spezialanzug hat in Crysis 2 nun die Hauptfähigkeiten "Strength" und "Stealth" zu bieten, zwischen denen man sich grundlegend entscheiden muss. "Power" (vereint Sprint- und Sprungkraft) sowie einen speziellen Visormodus mit Fernglas und dynamisch eingeblendeten Informationen darf man parallel dazu standardmäßig benutzen, so lange man Anzugenergie zur Verfügung hat. Wie gemunkelt wird, sollen sich die Fähigkeiten des Nanosuits im Verlauf des Storymodes darüber hinaus weiter durch Upgrades anpassen lassen. Zu Anfang der Präsentation zeigte sich die Kombination aus verbessertem Nanosuit und New York City von ihrer interessantesten Seite, denn Norman hüpfte dabei spielend leicht von Dach zu Dach, schaltete bei Bedarf Blitzschnell die Tarnvorrichtung an und packte sich praktisch aus dem Sprint heraus seine ahnungslosen Gegner wie ein Raubtier, um sie vom Dach zu schmeißen. Auf Seiten der Waffen stach zwischen den üblichen Gerätschaften wie Maschinengewehr, Shotgun und Granatenwerfer die Möglichkeit hervor, montierte Standgeschütze abzureißen und im Spartan-Style durch die Gegend zu tragen. Obwohl die gezeigte Vorabversion von Crysis 2 eine Demo der kurzen Sorte war, so ließ sich doch klar erkennen, dass die flüssige Shootermechanik des Vorgängers auch im Sequel wieder für jede Menge Ballerspaß sorgen dürfte. Vor allem darf man sich über den nun simultan möglichen Einsatz der sinnvoller sortierten Nanosuitfunktionen freuen, wodurch die Spezialfähigkeiten deutlich flotter und effektiver eingesetzt werden können.
Longing to stray?
Vielleicht wäre ich nicht ganz so ernüchtert aus der "Xbox 360"-Präsentation von Crysis 2 gegangen, wenn EA und Crytek im Vorfeld nicht angekündigt hätten, ich würde da etwas ganz beeindruckendes präsentiert bekommen. Der Wow-Effekt blieb nämlich definitiv aus. Und das auch ohne die üblichen "Pre-Alpha"-Kinderkrankheiten der Technik, denn die (trotz kosmetischer Zerstörbarkeit) recht steril wirkende CryEngine-Version von New York City konnte mich als Schauplatz mit Seele noch nicht überzeugen. Auch sonst sah Crysis 2 in der kurzen Demopassage noch weit entfernt davon aus, mehr als nur ein weiterer "Sci-Fi"-Shooter mit den üblichen Power-Ups und Aliens zu werden. Obwohl zumindest das bereits auf sehr hohem Niveau gezeigt wurde, denn der komfortabler bedienbare Nanosuit und das über Hochhausdächer in die Vertikale ausgeweitete Großstadtschlachtfeld versprachen bereits flotten Ballerspaß mit ähnlichem "Predator"-Flair, wie man es schon in den Urwäldern des Vorgängers erlebt hat (schöne Parallele: Auch die ersten beiden Predator-Filme verlagerten ihren Schauplatz vom Dschungel in eine U.S.-Metropole). Cryteks Trumpf liegt nun immer noch darin, dass sie aus ihrem neuen Spiel bisher erst so wenig, so kurz gezeigt haben. Vom Multiplayermodus, der
komplett beim externen Team Crytek UK (ehemals Free Radical) entwickelt wird, war gar noch überhaupt nichts zu sehen. Den
ganz großen Ambitionen kann der Titel bei Release also durchaus noch gerecht werden, auch wenn ich beim Event in London "nur" die noch weit unvollendete Idee eines womöglich sehr guten Shooters gezeigt bekam.
http://www.areagames.de/artikel/detail/Crysis-2/108609