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McFit-Geschäftsführer Rainer Schaller hat in der gestrigen Pressekonferenz erklärt, die Loveparade sei – aus Respekt vor den Opfern – gestorben. Bei allem Respekt vor den Opfern und Herrn Schaller, selbst ein noch so enttäuschter und geschockter Geschäftsmann, der die Markenrechte ‘Loveparade’ besitzt, hat nicht die Omnipotzenz, ein über die Jahre gewachsenes Phänomen, eine Jugendbewegung, die sich von Berlin aus um die Welt bewegt hat, als beendet zu erklären.
So nachvollziehbar diese Aussage aus menschlichen Gesichtspunkten sein mag, die elektronische Musikbewegung lässt sich von diesem grausamen Wochenende nicht aus der Öffentlichkeit drängen.
Tom Novy: “Gestern kam mir ein Gedanke, der mich vielleicht hoffen lässt. Was, wenn wir die Loveparade nicht sterben lassen. Lassen wir nicht Mister McFit Rainer Schaller zum Totengräber unserer Loveparade werden. Vielleicht schafft es unsere Szene mit der Hilfe der Regierung und zum Andenken und Ehren der Toten und Verletzten die Parade zurück nach Berlin zu holen und nächtes Jahr diese Tragödie zwar nicht unvergessen zu machen, aber ein Zeichen zu setzten, dass Geldhunger und Machtgier nicht die Ideale sind, für die die Loveparade steht, sondern Friede, Freiheit und Liebe!
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Westbam ist einer der Köpfe der elektronischen Musikszene, die untrennbar mit der Loveparade verbunden sind und immer sein werden. Die Parade in Duisburg sollte seine letzte Loveparade werden. Wir sprachen mit ihm am Montag nach dem tragischen Wochenende.
Hallo Max, wie geht es dir heute?
Ich bin immer noch betroffen.
Wann hast Du von der Katastrophe erfahren?
Es war ganz komisch. Ich habe meinen Urlaub extra für die Loveparade unterbrochen und bin nach Düsseldorf geflogen. Das Flugzeug hatte drei Stunden Verspätung und so landete ich erst gegen 19:00 Uhr. Als ich mein Handy anschaltete, rechnete ich mit ein bis zwei SMS, aber es waren 30 SMS. Die erste lautete: ‚Es tut mir leid, dass dein letzter Gig so verlaufen ist.‘ Da dachte ich schon, da muss irgendetwas Schlimmes passiert sein. In der zweiten SMS stand: ‚Mein Beileid ist bei den Angehörigen‘. Da war ich geschockt. Ich hatte nur meine Plattentasche dabei, bin also gleich raus aus dem Flughafen. Ich war so spät, dass ich vor der Landung dachte, ich fahre sofort zur Parade, aber aufgrund der SMS bin ich dann doch ins Hotel gefahren, um mir einen Überblick zu verschaffen. Im Fernsehen sah ich dann die schrecklichen Bilder.
Und dann stand für dich fest, nicht auf der AK aufzulegen?
Im Hotel rief mich direkt Luca von der Loveparade an und sagte mir, es ginge weiter. Die Polizei hätte sie gebeten, mit dem Programm fortzufahren, um das Unheil nicht größer werden zu lassen. Im Gegenteil es wäre wichtig, dass ich auch spiele. Ich überlegte. Ich wollte nicht verantwortlich dafür sein, dass noch mehr Menschen todgetrampelt werden. Aber dann dachte ich mir, wenn es nur um die Sicherheit ging, hätte man auch eine CD einlegen können. Aus meiner Sicht konnte es keinen positiven Aspekt mehr geben. Die Party durfte nicht weitergehen, deswegen entschloss ich mich, nicht dort aufzulegen.
Es war kein normaler Gig für dich, sondern dein letztes Loveparade-Set.
Ja, ich hatte mich wahnsinnig konzentriert auf den Gig, meinen letzten Gig auf der Loveparade. Es wäre ein Highlight meiner Karriere gewesen. Aber die Vorstellung, irgendeine Art von guter Laune zu verbreiten wäre diametral zu den Geschehnissen gewesen.
Inwieweit hast du die Berichterstattungen weiter verfolgt?
Als die Pressekonferenz begann, saß ich im Flieger, aber Zuhause habe ich mir viele Berichte angeschaut. In den Bildern der PK wirke Rainer Schaller auf mich wie ein gebrochener Mensch. Ich halte ihn nicht für einen Bösewicht, eher für einen Spieler. Es bestand ein großer Druck – alle wollten ja, dass die Loveparade in Duisburg stattfindet. In Essen hatte ich das Gefühl der Enge noch nicht, aber in Dortmund dachte ich schon, die Städte im Ruhrgebiet stoßen an ihre Grenzen. Es fühlte sich für mich an, als wenn jemand alleine in einer kleinen Wohnung wohnt und zehn Menschen kommen zu Besuch – es kann nur eng werden. Der allgemeine öffentliche Druck auf die Veranstalter und die Behörden, zumal das 20jährige Jubiläum ausgefallen ist, hat dafür gesorgt, dass die Organisatoren anscheinend einige Risiken außer Acht gelassen haben, um den Wunsch einer neuen Loveparade wahr werden zu lassen. Letztendlich war der Wunsch zu groß.
Warum ist so etwas in Berlin nicht passiert?
Die Loveparade war immer von legendärem Glück gesegnet. Motte hat auch Recht, wenn er sagt, dass die Organisation in Duisburg leichtsinnig gewesen ist. Aber wir hatten immer Glück in Berlin. So etwas hätte auch in all den Jahren in Berlin passieren können. Berlin ist natürlich größer, aber so etwas ist nicht auszuschließen. Es hätte nur eine Person im Bereich der Siegessäule fallen und zerquetscht werden müssen, dann wäre auch in Berlin Panik ausgebrochen, schließlich war es dort auch immer sehr eng. Man hat sich vielleicht ein bisschen zu sehr auf das Glück der Loveparade verlassen, aber an diesem Tag hat die Loveparade das Glück verlassen.
Wer hat sich in Berlin um die Sicherheit der Besucher gekümmert? Wie oft gab es ein Update der Sicherheitsvorkehrungen?
Dazu kann ich wirklich nichts sagen. Ich habe mich nie um solche Sachen gekümmert, weil ich wusste, da sind Leute, denen ist das Thema sehr wichtig. William Röttger und Sicherheitschef Angelo Pape, der für Ralf Regitz und die Planetcom arbeitete, waren immer sehr ängstlich. Einigen Leuten sogar zu ängstlich. William hat immer gesagt, wenn einmal etwas Schlimmes passiert, war es das mit der Loveparade, deshalb darf nichts passieren. Jetzt, nach der Katastrophe, habe ich mich als Künstler gefragt, warum man sich nie um solche Sicherheitsbelange gekümmert hat. Diese Nadelöhr-Situation war ja bekannt. Ich habe Bilder von den Massen vor dem Tunnel gesehen und musste spontan an Wasser denken. Wenn man versucht, Wasser zu stauen, steigt es an den Seiten hoch, und so ist es mit den Menschen passiert. Dass dann eine Panik entsteht, wenn jemand zu Boden fällt und anfängt zu schreien oder jemand von den Seiten auf die Menschen unter ihm stürzt, ist klar. Wenn in Berlin jemand von den Laternen heruntergefallen wäre, hätte es auch eine Panik geben können. In Bezug auf die Kesselsituation mit 300.000 Leuten frage ich mich schon, wie man das verhindern wollte, wenn man eine Million Gäste erwartete. Es war doch klar, dass dann Hundertausende nachrücken und von hinten drücken. Da kann ich dann eine Aussage wie ‚Das Sicherheitskonzept war schlüssig‘ als Laie nicht nachvollziehen.
Du hast gesagt, Rainer Schaller ist für dich kein ruchloser Bösewicht. Was ist er für dich?
Schaller ist ein Entrepreneur, ein Spieler, der auch immer bereit war, große Risiken einzugehen und immer damit Erfolg hatte. Ich wollte ihn mal erreichen als er sich im Urlaub befand, und da war er im pakistanischen Grenzgebiet unterwegs. Er hat sich immer etwas getraut. Als er die Rechte an der Loveparade erworben hat, gab es niemanden, der sich dann sonst getraut hätte, obwohl es zu der Zeit noch diverse Firmen gab, die das nötige Kleingeld gehabt hätten. Er hat die erste Parade in Berlin durchgeführt und dann, als es in Berlin Probleme mit den Behörden gab, traute er sich, einen großen Schnitt zu machen und die Parade ins Ruhrgebiet zu übersiedeln. Auch ein sehr mutiger Schritt. Ich respektiere ihn dafür, dass er sich was traut. Es ist nur tragisch, wenn andere Menschen dafür mit dem Leben bezahlen.
Du hast der vor der Loveparade gesagt, dass es in Duisburg deine letzte Loveparade sein wird. Ist die Ära Westbam – Loveparade jetzt gestorben oder die gesamte Loveparade?
Ich wollte mich verabschieden und dachte, ich höre auf, aber die Loveparade gibt es noch in 100 Jahren. Dass so etwas passiert, dachte und wollte ich natürlich nicht. Mein ehrlicher Eindruck ist: Die Loveparade ist in diesem Augenblick gestorben, als diese armen Menschen zu Tode gekommen sind. In Roskilde sind auch Menschen gestorben. Wenn die Loveparade ein normales Event gewesen wäre, hätte man darüber reden können, im nächsten Jahr die Sicherheitsvorkehrungen zu verschärfen, auf ein größeres Gelände auszuweichen oder ähnliches. Aber die Loveparade ist zu keiner Zeit ein normales Event gewesen. Die Loveparade gibt es nach diesem Wochenende nicht mehr. Ich habe auch kein Verständnis dafür, dass nach der Tragödie noch Partys stattgefunden haben. Ich verstehe das nicht, denn das bricht die gesamte Loveparade auf ein Niveau von Tieren herunter. Nein, nicht Tiere, Menschen mit einem Mangel an Empathie für Mitmenschen, denen es nur um gedankenloses Feiern ohne Sinn und ohne Verstand geht. Das kann ich nicht unterstützen.
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