2. Teil: Marke, Pläne, Tabus und Selbstbild - was Houser sich für Rockstars Zukunft noch vorstellen kann
SPIEGEL ONLINE: GTA ist so etwas wie der Tabellenführer in Ihrer Liga. Spüren Sie den Druck der Konkurrenz im Nacken?
Houser: Einige Spiele haben sich Designideen aus GTA genommen und versucht, damit etwas Eigenes schaffen. Das ist gut so. Aber es gab auch einfache Plagiate - wer so etwas macht, tut mir leid. Diese Leute verstehen nicht, was GTA gut macht: ein Geist, eine Art Persönlichkeit, über die die meisten Spiele nicht verfügen. Der Erfolg, den unser Studio Rockstar und GTA hatte, hat uns die Freiheit erkauft, zu tun, was wir wollen. Wir wollten immer die Spiele entwickeln, die wir selbst auch gern spielen wollten.
SPIEGEL ONLINE: Sie als Erwachsene, wohlgemerkt. GTA hat den sogenannten Erwachsenenmarkt stark mitgeprägt.
Houser: Als wir angefangen haben, gab es Musik und Filme - und Spiele für ein kindliches Publikum, nicht für uns. Wir wollten das ändern. Das ist auch der Grund, warum wir keine Marktforschung, keine Tests mit Zielgruppen machen. Da erfährt man nur, was gerade ganz oben in den Charts ist. Wir wollen die Sachen entwickeln, an die man noch gar nicht gedacht hat.
SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel auch, einer Spielefirma einen Namen zu geben, der eher nach Musikunternehmen klingt ...
GRAND THEFT AUTO IV: GEWALT UND STIMMUNG
Houser: ... ja, wir stellten uns vor, dass Rockstar wie ein gutes Plattenlabel sein sollte. Wenn jemand eines unserer Spiele gekauft hatte und es mochte, sollte er ein weiteres kaufen und es gut finden. Auch wenn es zu einem Genre gehörte, für das er normalerweise wenig übrig hat. Wir wollen, dass die Leute sich denken: Rockstar hat das Ding produziert, die machen interessante Sachen, also probiere ich das mal aus.
SPIEGEL ONLINE: Damit wird die Marke zum Signal für bestimmte Käufergruppen?
Houser: Schauen Sie sich mal unser "Bully" an! Wer will schon ein Spiel über ein Kind spielen? Aber wenn wir uns mit einem Konzept identifizieren können, dann können aus allen denkbaren Themen ein gutes Spiel produzieren. Nur weil anderen nichts einfällt, heißt das nicht, dass es nicht getan werden kann. Als wir anfingen, gab es Fantasy- und Weltraumspiele. Wir haben die Gangster ins Spiel gebracht.
SPIEGEL ONLINE: Weltraumspiele oder Fantasy zu produzieren, fiele Ihnen also nicht ein?
Houser: In der guten alten Zeit hätten wir uns da geweigert. Aber alles kann interessant sein, wenn nur der Ansatz stimmt. Was wir allerdings nicht machen würden, wäre, uns auf Nischen einzulassen, die schon zu gut von anderen beliefert werden - zum Beispiel Militärspiele.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben als erste ein großes Spiel mit einem Afroamerikaner als einem Hauptcharakter produziert. War das schwierig in einer Branche, die von weißen Männern dominiert wird?
Houser: Das war eigentlich eine Kleinigkeit - einerseits. Andererseits sorgte es für Unmut bei manchen Spielern, die keinen Schwarzen spielen wollten. Wir fanden das erschreckend. Das Gute daran: Wir haben es in "GTA - Vice City Stories" einfach wieder getan, und niemand hat es auch nur erwähnt.
SPIEGEL ONLINE: Könnten Sie sich auch vorstellen, ein Spiel um eine Heldin zu entwerfen?
Houser: Wohl nicht in der GTA-Serie. Wir haben uns intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt. Was uns davon abgehalten hat, war, dass es sich einfach ein wenig künstlich anfühlte: Wir fanden bei unseren Recherchen einfach keine weiblichen Schwerkriminellen. In jeder Art Spiel, in dem eine weibliche Heldin plausibel wäre, würden wir es tun. Die Gefahr ist allerdings, dass dabei so etwas wie "Charlie's Angels" herauskommen könnte.
SPIEGEL ONLINE: Also ist GTA etwas für Jungs.
Houser: Es gibt Frauen, die unsere Spiele spielen. Ich kenne ein paar. Aber ja, unsere Spiele sind eher männlich - weil wir diese Sachen für uns selbst entworfen haben. Und die meisten von uns sind Männer. Aber ist ein Gangsterfilm männlich oder weiblich? Wir produzieren Western, Schuljungenspiele, Gangster. Sie sind eher männlich, weil wir Männer sind.
Interview: Carsten Görig